Genießen – achtsam jeden Tag
Darf ich genießen, während Unschuldige im Krieg sterben? Dürfen wir uns in einer Welt, die von Krisen, Katastrophen und Kriegen gebeutelt wird, in der wir unter dem Druck von Inflation weniger Geld in der Tasche haben, Genuss überhaupt noch erlauben? Vielleicht beschäftigen auch Sie solche Fragen. Ich meine: Ja, umso mehr! Gerade jetzt! Dankbar und achtsam sollen wir im Alltäglichen die kleinen Glücksmomente erkennen und schätzen. Genießen bringt Lebensfreude, weitet die Sinne und gibt Kraft für schwierige Zeiten.
Das Herz öffnen, statt in Angst zu erstarren
Das Leben mutet uns mehr als gewohnt zu, Wohlstand zerbröckelt, nach und nach entrinnt die Gewissheit, alles sofort haben und sich leisten zu können. Angst allein ist in solcher Situation kein guter Lebensberater. Sorgen und Befürchtungen dürfen die Freude am Leben mit all den fröhlichen und motivierenden Gefühlen nicht ersticken! Genießen zu können ist eine Eigenschaft, die das Leben leicht, locker und in herausfordernden Zeiten erträglicher macht, ohne dass man das Mitgefühl für die Sorgen und Nöte anderer verliert. Genuss ist nicht den Reichen und Schönen vorbehalten und hat auch nichts mit der Gier, schnell noch alles hamstern und erleben zu müssen, solange es noch geht, zu tun! Wahres Genießen ist eine Lebenseinstellung, in der die kleinen Momente des Glücks, der Freude, des Staunens eine große Rolle spielen: ein Lächeln, eine Umarmung, eine Blüte am Weg, ein kühler Tag nach der Hitze etc. Das ändert sich auch in Krisenzeiten nicht, im Gegenteil. Alle profitieren davon, wenn wir das Herz für die Freude öffnen, anstatt es in Angst zu verhärten! Genusstraining ist Balsam für die Seele und mittlerweile Bestandteil der Therapie bei Depression, Burn-out oder Essstörungen.
Juchzen aus purer Freude
Die erste Zeit des Lockdowns, wo alles stillstand, hat uns erleben lassen, dass weniger auch mehr sein kann, etwa ein Mehr an Qualität und Zeit mit der Familie. Viele lernten auch Fülle und Heilkraft der Natur mit ihrer Botschaft „Schaut her, es geht weiter!“ neu zu schätzen: Knospen öffnen sich, Blätter grünen, Hoffnung keimt und neue Ernte ist in Sicht. Natur, Familie und Freunde wurden im Lockdown als Kraftquelle, als Gott sei Dank, als Schatz, Reichtum und Ruhepol gewürdigt. Liegt nicht auch darin ein großes Geschenk und Genuss! Wir Mühlviertler kennen den Begriff „Himmlitzen“,der ein Aufjauchzen bis in den Himmel hinein meint und puren Genuss beschreibt. Hand aufs Herz, wann haben Sie den letzten Luftsprung oder Juchzer gemacht – aus reiner Freude, purem Glück und spontaner Begeisterung heraus?
Gönne dich dir selbst
Der hl. Bernhard von Clairvaux sagte: „Gönne dich dir selbst. Denn wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? “Das SEIN zu genießen ist in unserer Zeit voll Ablenkung, Hektik, Reizüberflutung und Unsicherheit gar nicht so leicht. Mein Vorschlag: Suchen Sie Ihr Lieblingsplatzerl auf und setzen Sie sich einfach hin. Ganz Dasein im Hier und Jetzt, nichts wollen und erwarten – einfach still werden und zur Ruhe kommen. „Ich BIN und es ist GUT“ – genießen Sie dieses unwiederbringliche Gefühl!
Schwester M. Christiane Reichl,
Geistliche Leiterin des Curhauses der Marienschwestern in Bad Kreuzen